Vornweg einen der bekanntesten DDR-Witze:
Wer in der DDR Abitur machen wollte und eher für sich die erste Aussage in Anspruch nehmen konnte – der musste irgendwann, spätestens nach 1961, als die Daumenschrauben angezogen wurden, ein wenig heucheln.
Wer jedoch schon in der 10. Klasse aus der alleinseligmachenden Jugendorganisation der FDJ rausgeflogen war, der musste noch ein kleines bisschen besser heucheln.
Und für wen das bisher Gesagte ausnahmslos zutraf und wer dann außerdem noch häufige Vorladungen zur Görlitzer Staatsicherheitsbehörde bekam, der musste versuchen, so perfekt wie möglich zu heucheln, um nicht nur zum Abitur zugelassen zu werden, sondern um vielleicht auch noch einen vernünftigen Studienplatz zu ergattern – auch wenn er sich schon beim Schreiben schämte.
Als ich meine 1963 verfasste „Darstellung meiner Entwicklung“ nach ca. 40 Jahren mehr oder weniger zufällig in die Hände bekam, liefen mir vor Scham wirklich fast die Tränen über soviel Heuchelei, zu der ich mich genötigt fühlte. Ich, die immer aufgemüpft hat, ich habe klein beigegeben.
Und hier will ich einige dieser Sätze schreiben:
„Unser Staat ermöglichte es mir, eine erweiterte polytechnische Oberschule (Gymnasium) zu besuchen. … Zu Beginn meiner Oberschulzeit arbeitete ich aktiv als FDJlerin mit, aber mit der Zeit kam es, dass ich mich nicht mehr genügend um die Klärung politischer und gesellschaftlicher Grundfragen oder um die Beseitigung von Unklarheiten bemühte, die z.T. auch durch meine christliche Erziehung bedingt sind. Auch meine gesellschaftliche Mitarbeit ließ nach. Deswegen wurde ich Ende des Jahres 1961 aus den eihen der FDJ gestrichen. Erst durch diese Maßnahme dachate ich genauer über meine Stellung zum Arbeiter-und-Bauern-Staat nach. Ich erkannte, dass ich nicht ohne entsprechende Gegenleistung all die Vergünstigungen, wie z.B. die Schulgeldfreiheit, die der Jugend in unserem Staat geboten werden, in Anspruch nehmen darf. Von da an bemühte ich mich, durch bessere gesellschaftliche Arbeit … und durch meine aktive Tätigkeit als Kassierer in der „Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft“ beim Aufbau unserer Republik mitzuhelfen (kotz, kotz, kotz) Ich habe meine Fehler erkannt, und es ist mein Ziel, wieder in den Jugendverband aufgenommen zu werden (große Lüge). Ich weiß nun, dass man auch als Christ seine Kräfte für den Aufbau des Sozialismus einsetzen kann.Es ist jetzt meine Aufgabe, diese Einsicht durch die Tat zu beweisen und mich zu bewähren. … , …meinem christlichen Standpunkt entsprechend meine Kräfte in den Dienst … unserer sozialistischen Gesellschaft zu stellen. Ich bin mir über die vorbildlichen Einrichtungen unseres Staates auf dem Gebiet des Gesundheitswesens klar und könnte hier mit allen meinen Kräften positiv und ehrlich wirken.“
Ekel, „kotz“, brech – bloß gut, dass ich mich schon lange nicht mehr bewerben muss. Die Lügen heute, die man in Bewerbungsschreiben aufsetzt, sind andere – denn mit der reinen Wahrheit glauben die meisten, die erwünschte Stelle nicht zu bekommen. Es ist keine gute Position für den Menschen, Bittsteller sein zu müssen.