… in der DDR!
Ausgangslage: Ein quirliger Erstklässler, hinreichend bekannt unter dem Namen Clemens, seine allseits interessierte Schwester Theres von 9 Jahren, ein dauerarbeitender Diplomingenieur und eine permanent sich in Weiterbildung befindende Clara wohnen 1977 gemeinsam in Berlins schönster Zentrumslage in einer wunderschönen Vollkomfortwohnung, die nur einen Nachteil hat: Sie ist mit 49 qm und zwei nicht zu großen Zimmern einfach zu klein und zu eng für 4 Personen. (Ich bewohne jetzt allein 64 qm)
Der eine will seine Eisenbahnplatte aufbauen, die andere möchte in Ruhe lesen, lernen oder musizieren. Der Senior braucht nach seiner anstrengenden Arbeit ein wenig Ruhe und verschanzt sich aus diesem Grund permanent hinter Kopfhörern und last, but not least hätte Clara gern einen Arbeitsplatz, den sie nicht ständig für die nächste Mahlzeit räumen muss.
Dass eine größere Wohnung nötig war, konnte und wollte keiner abstreiten, nur die „DDR-Wohnungszuteilungs-Gesetze“ schrieben vor, dass beide Kinder im Schulalter sein müssen, bevor der Familie eine 3- bis 4-Zimmer-Wohnung zusteht. – Dieser Punkt war erfüllt, also ging es auf Wohnungssuche. Willige Tauschpartner mit großen Wohnungen wurden gesucht und gefunden, die in eine kuschelige Wohnung am Ufer der Spree in Fernsehturmnähe ziehen wollten.
Folgende Bedenken wurden nun reihum gegen alle gefundenen Wohnungen vorgebracht:
- Die ist zu weit weg vom Zentrum!
- Die hat ja noch Ofenheizung, da muss ich ja Kohlen schleppen!
- Ich will in keine Parterrewohnung!
- Altbauwohnungen haben zu hohe Decken und Fenster !
- Da muss ich ja in eine neue Schule!
- Zu den Umbauarbeiten habe ich keine Lust!
Diese Liste ließe sich beliebig erweitern. Clara war jedenfalls am Rande der Verzweiflung, denn sie litt wohl am meisten unter der Enge.
Nun hätte ja der arbeitende Papa in seiner Arbeits- und Wohnungsvergabestelle eine 4-Zimmer-Plattenbau-Wohnung beantragen können, denn dort wurde schließlich das Gros aller Berliner Neubauten geplant, gebaut und für Angestellte auch verteilt.
Doch der Haken war: Um nichts in der Welt wollte er nach Marzahn ziehen, was ich bis heute nicht richtig nachvollziehen kann. Clara wäre (fast) alles egal gewesen – Hauptsache Platz in der Wohnung!
Also musste Plan B ran:
Eine fingierte Scheidung mit Kinderaufteilung sollte das Problem lösen: C+C (Clemens + Clara) behalten die alte Wohnung, T+H (Theres + Hannes) beantragen eine 2-Zimmer-Wohnung, die es angeblich ganz schnell geben sollte. – Ende 1978 war die Scheidung über die Bühne.
Die Kinder sollten nicht eingeweiht werden, um sie nicht zum Mitwisser dieses Deals zu machen. Blöd nur, dass sich die Klassenlehrerin von Theres als „Verkündigungsengel“ aufspielen musste. Heute ist es Twitter, früher Lehrer, die unangenehme Nachrichten verbreitet haben.
Das untröstliche, weinende Kind konnte nur damit getröstet werden, dass der DDR-typische, schlitzohrige Plan offengelegt wurde und sie Aussicht auf ein eigenes Zimmer bekam.
Diese neue Wohnung kam viel später als erwartet und lag genau gegenüber von dem inzwischen entstandenen „Marzahner Garten“.
Mit viel Ausdauer und Glück gelang es uns danach, die beiden 2-Zimmer-Wohnungen gegen eine herrliche 4-Zimmer-Whg. im gleichen Areal zu tauschen, in dem wir bereits wohnten, also quasi genau gegenüber.
Blöd nur, dass bei der Einweihungsparty der Grundstein zur endgültigen Trennung gelegt wurde.
Pingback: Familie Breitmaulgrinsfrosch (gesamt) « Claras Allerleiweltsgedanken
11. Mai 2010 um 16:19
Das hattet ihr gut geplant, liebe Clara. Dass dann aus der privaten „Wiedervereinigung“ nichts wurde, konnte man ja vorher nicht wissen. Wir hatten viele Freunde in der ehemaligen DDR und daher weiß ich, wie erfinderisch man sein musste, um zum Ziel zu kommen.
LikeLike
11. Mai 2010 um 16:53
Ach wie schön, dass du erstens wieder hier bist (obwohl du ja vor paar Tagen viel dichter an „hier“ warst als jetzt, aber weiter weg von meinem Blog) und zweitens verstehst, dass in der DDR ab und an der Zci-Zack-Kurs viel direkter zum Ziel führte als der gerade Weg.
LikeLike
9. Mai 2010 um 01:30
„Geistige Füße vertreten“ – auch ein netter Ausdruck. – Ich würde dir gern helfen – vielleicht würde es ja sogar Spaß machen (wenn es nicht gerade Physik-Klausuren sind).
LikeLike
8. Mai 2010 um 12:44
….war dies auch mit Ängsten verbunden, ‚geschnappt‘ zu werden? Und wie war das mit dem ‚Unrechtsbewusstsein‘, war es anders, als jetzt?
LikeLike
8. Mai 2010 um 13:09
Warum Ängste, es war eine ordentlich vor einem Gericht ausgesprochene Scheidung, die rechtskräftig war. – Mein „Unrechtsbewusstsein“ war sicher etwas schlitzohriger als das überzeugter Genossen – doch ich dachte immer: „Der Staat betrügt mich bei und um so viele Sachen, ich kann das auch in meinen Grenzen“. Eine Wohnung stand uns ja zu – und der Weg, den wir gewählt hatten, war um ein Mehrfaches teurer als die Möglichkeit, einfach in eine 4-Zimmer-Wohnung nach Marzahn zu ziehen.
Andere Frage: Wie viele Leute haben in diesem unserem heutigen „Rechtsstaat“ noch ein funktionierendes Unrechtsbewusstsein, wenn es der Klerus bis hoch zum Papst noch nicht einmal haben?
LG Clara
LikeLike
8. Mai 2010 um 14:31
Am besten doppel-schlitzohrig sein, also auf jedem Ohr, liebe Margot! ClaraChristin, genannt Clara
Ich werde heute abend, falls noch etwas Wachheit da ist, einige nette Fun-Dateien für dich raussuchen.
LikeLike
8. Mai 2010 um 10:53
Ich glaube, so extrem wie ich hat selten jemand seine Probleme geregelt. Ich war schon immer ungeduldig und bin andere Wege gegangen, die teils eben unkonventionell waren.
LikeLike