Claras Allerleiweltsgedanken


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2062 – Tausend-Taler-Wiese

Die einen heiraten, die anderen wollen Eltern werden. – Endlich sollte die kirchliche Trauung von Felicitas mit ihrem Maximilian stattfinden – vorher hatten sie kein Geld, um mit all den Gästen zu feiern, die sie gern bei sich haben wollten. Die Finanzspritze von Oma Claudia wurde auch in das Hochzeitssparsäckel gepackt und dann war es so weit.

Bei der Trauung in der Hofkirche passierte ein kleines Malheur. Cora war mit ihren 4 Jahren schon ein kluges Kind, das nie schlafen wollte, weil es immer noch Lust auf eine neue Geschichte hatte. Vor der Hochzeit war Cora ganz besonders aufgeregt und konnte überhaupt nicht einschlafen.

Als der Pfarrer eine viel zu lange Predigt vortrug, saß sie bei ihrer Oma Anna auf dem Schoß, Plötzlich gab es ein ziemlich lautes Poltern: Das Kind war eingeschlafen und mit Getöse unter die Bank gerutscht – was zum Glück ohne Verletzungen abging.

Es wurde auf einem Landgut am Stadtrand von Dresden gefeiert. Die Unterbringung war sehr  rustikal, aber das störte die gute Stimmung auf keinen Fall. – Das Brautpaar wunderte sich, warum nicht ein einziger Gast, kein Pärchen irgendein Geschenk überreichte. Sie dachten heimlich: „Auch gut, da müssen wir nicht so vieles entsorgen, was uns nicht gefällt.“

Da das Wetter sonnig, warm und prächtig war, stand ein Spaziergang zu einer Blumenwiese auf dem Programm. Dass sich diese Wiese als die 1000-Taler-Wiese entpuppen sollte, bekamen Feli und Max erst mit, als sie fast mit der Nase darauf gestoßen wurden, dass sich in den Blumen Geld versteckt hat. Die Verstecker hatten die Münzen ganz genau registriert und gezählt, damit nicht die Hälfte des Geldes auf der Wiese bleibt. – Das Brautpaar war froh, dass Cora mitsuchen durfte, denn die Kleine war am erfolgreichsten, da sie ihre Augen am dichtesten über dem Boden hat.

Als die beiden fertig waren – fertig im doppelten Sinn – zählen sie das Geld und kommen genau auf 1000,00 Euro

Als dann die Familie am Abend nach der Feier noch ein wenig beieinander sitzt, steht Benno plötzlich auf, bekommt (fast) einen roten Kopf und meint: „Katharina wird Mama, ich werde Papa und wir werden Eltern – und Bonnox bekommt jemand, der ihn am Schwanz zieht.“ Sofort wird nachgefragt: „DER ihn am Schwanz zieht, wird es denn ein Junge? Wann kommt das Kind denn?“ – Diese beiden waren nicht so standhaft und ließen es sich sagen, dass es ein Junge werden wird. Als Termin ist Ende Januar anvisiert. Sofort sagt Feli, die Mathematikerin: „Dann kommt er ja genau 63 Jahre nach seinem Opa Anno zur Welt – da müssen wir ihm auch einen Wegweiser schenken – einfach aus Tradition – denn der von Anno hatte viele, viele Jahre überlebt, bevor er total verrostet in der Schrottsammlung landete.

 

2063 – Und wieder ein Wegweiser

Die Familie war in der Spur, in der Suchspur, um einen würdigen Wegweisernachfolger zu finden für das Kind, dessen Name bisher noch nicht bekannt gegeben wurde. Das Vorbild wurde gefunden, fotografiert und in einer guten Tischlerwerkstatt nachgebaut. Natürlich waren alle so klug, die Entfernungen neu zu berechnen – nämlich von dem Hof in Brandenburg aus gesehen, auf dem Benno und Katharina immer noch lebten.

Sie suchten sich auch andere Orte aus, denn was soll der kleine Erdenbürger in seinen ersten Lebensjahren mit der Antarktis oder Nowosibirsk anfangen?– Das wäre wirklich zu kalt für ihn.

Benno und Katharina hatten lange über den Namen für ihren Sohn nachgedacht – nicht nur nachgedacht, sondern auch heftig diskutiert, zum Teil auch gestritten. Katharina wollte mit dieser „dämlichen“ C-Tradition“ brechen, denn es war schon auffällig, dass in dieser Familie + Erweiterung einige Anfangsbuchstaben häufiger vertreten waren als andere. Sie machte sich die Mühe und suchte mal alle Namen zusammen.

3 x A bei Anna, Anno und Stute Ada
3 x B bei Benno, Bob (Sohn von Kay und Sandra) und Hund Bonnox
3 x C bei Claudia, Cora, Constantin
2 x F bei Felicitas, Felix
1 x J bei Johannis
2 x K bei Katharina und Kay
1 x L bei Louise (Tochter von Kay und Sandra)
1 x M bei Maximilian
1 x S bei Sandra (Frau von Kay)

Zuerst sollte der Sohn Clemens heißen, denn Benno hätte eine ABC-Familie aus Ada, Benno-Bonnox und Clemens lustig gefunden, sah dann aber ein, dass sich dann Katharina ausgeschlossen fühlen musste.

So wie Felicitas mit dem C von Cora der Uroma Claudia eine Freude machen wollte, machten sie es jetzt mit dem Uropa Johannis, der diese Freude aber nur noch von oben verfolgen konnte.

Namensbücher wurden gewälzt. Der Trend der englischen oder amerikanischen Namen wie Jack, Jeffrey, Jonny (Übersetzung von Johannes)  oder Jason war schon lange vorbei – die Deutschen sprachen wieder deutsch. Biblisch wie Jakob oder Jeremias wollten sie auch nicht, der einfache Johann war ihnen zu altmodisch.

Und plötzlich hatten sie es und waren beide auf Anhieb einverstanden. Ihr Sohn wird Jannis heißen, die neugriechische Form von Johannes. Kaum war der Name ausdiskutiert, war er auch schon da, der kleine Jannis Domini – kräftig, prächtig und ganz gesund.


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2060 – Verlust

Eine Geschichte, die schon 60 Jahre dauert, ist ganz schön lang – und auch ganz schön schwer zu erfinden, ohne dass alle Personen, Daten und Ereignisse durcheinander purzeln – zumindest für solche ungeübte „Autorin“ wie mich.

Claudia geht jetzt auf ihren 82. Geburtstag zu. Sie ist nicht unbedingt der Typ, der viel klagt – doch jetzt merkt sie, dass es ihr gar nicht gut geht. Sie spricht mit ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter und will sie bitten, einen Platz im Pflegeheim für sie zu besorgen – sie schafft den Einkauf und das Kochen nicht mehr, obwohl man inzwischen einen Haushalt fast vollständig elektronisch steuern und erledigen kann, auch aus der Ferne. Sie klagt sehr häufig über starke Unterbauchschmerzen.

Zuerst besorgt ihr Constantin einen Platz auf seiner Station. Er ist seit langem Chefarzt der Chirurgie in einem konfessionellen Krankenhaus. Noch vor 50 Jahren wäre das kaum denkbar gewesen, dass es einen schwulen Chefarzt gibt, und das in einem katholischen Krankenhaus. Damals gab es zwar viele homosexuelle Politiker, aber die katholische Kirche tat sich schwer damit, diese Gruppe als gleichberechtigte Katholiken anzuerkennen.

Dass sie Constantin genommen hatten, war auch in anderer Hinsicht erstaunlich: Er war nämlich nicht katholisch, doch sein Ruf war so phänomenal, dass sich das katholische Krankenhaus gern mit solch einer Koryphäe schmücken wollte.

Zwei Tage nach der Einlieferung war die Operation angesetzt – das Ultraschallbild und andere Untersuchungen hatten einen Tumor im Darm lokalisiert. Constantin stand unmittelbar davor, in Rente zu gehen, doch er ließ es sich nicht nehmen, diese Op selbst zu machen. Claudia genierte sich ein wenig, denn schließlich war er fast so etwas wie ihr „Schwiegersohn“. Sie war nicht mehr so schön schlank wie früher und an anderen Stellen hatte das Alter auch schon mächtig zugeschlagen – aber Constantin war nicht bereit, den „Fall“ an einen seiner Oberärzte abzugeben. Ihm schwante die Schwere der Erkrankung und er wollte sich deswegen selbst ein Bild machen, welche Lebenserwartung Claudia noch haben wird. Sie entband ihn der Familie gegenüber von seiner Schweigepflicht und ließ sich in den Vorbereitungsraum fahren. – Eine Spritze und sie schlief ein und überließ ihr Schicksal den Göttern, vorläufig noch denen in Weiß.

Schon während der Operation erkannte er, dass die Lebensuhr von Claudia mehr oder weniger abgelaufen war, es konnte sich nur noch um Wochen handeln. Der große Tumor aus dem Darm wurde entfernt und Constantin legte sein ganzes Können in die Waagschale, um einen künstlichen Darmausgang, einen anus praeter, zu verhindern. Alle anderen inneren Organe, in die der Tumor schon gestreut hatte, ließ er in Ruhe.

Claudia wachte auf und ihre erste Frage war: „Na, wie viele Wochen habe ich noch zu leben?“ Dadurch machte sie es ihm sehr leicht, ihr die Wahrheit zu sagen. Constantin fragte sie: „Willst DU es den anderen sagen oder soll ich das übernehmen?“ Nach kurzem Überlegen meinte sie: „Mach du das besser, dann sind die mit ihren Tränen schon durch, wenn wir dann miteinander sprechen.“

Typisch Claudia, konnte er nur denken, denn Sentimentalität war nie ihr Ding. – Es blieben ihr noch genau 13 Wochen = 3 Monate = ¼ Jahr, um all ihre Dinge zu regeln, die man so zu regeln hatte. Um den üblichen Kram wie Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung hatte sie sich zeitig genug gekümmert.

Da Anna nicht mehr arbeitete, war es für alle sonnenklar, dass Claudia für ihre letzte Zeit zu Anno und Anna ins Haus zieht. Sie bekam ein Zimmer im Erdgeschoss, da ihr das Treppensteigen sehr schwer fiel. Ihr ging es nach kurzer Zeit zunehmend schlechter und sie lag fast nur noch. Felicitas und Maximilian mit der kleinen Cora kamen so oft wie möglich nach Berlin zu Besuch. Sie konnten ja wunderbar in Claudias leerstehender Eigentumswohnung wohnen. Cora sprach schon sehr schön, so dass Claudia noch viel Freude an ihrem ersten Urenkelkind hatte.

Da Claudia das Gefühl hatte, dass sie nun die kirchliche Hochzeit der beiden nicht mehr erleben wird, schenkte sie ihnen das Geld für den angeblichen Doppelnamen des Kindes, also noch 700,00 € für „Corinna“.

Und dann war es eines Tages so weit: Anno hatte keine Mutter mehr, Felicitas und Benno keine Oma und Cora keine Uroma mehr. Sie fühlten sich sehr alleingelassen und hatten mit ihren Verlust-Tränen zu kämpfen.

Für sie alle war Claudia sehr oft die Ansprechpartnerin gewesen, da sie zu fast allen Sachen etwas Sinnvolles sagen konnte, keinem ihre Ratschläge über den Schädel haute und immer hilfsbereit parat stand, wenn sie gebraucht wurde.

Die Grabstelle auf dem Stahnsdorfer Friedhof wartete jetzt schon 12 Jahre auf Claudia. Damals war sie noch der Auffassung, dass sie eine Erdbestattung will, doch das änderte sie kurz vor ihrem Tod – sie gab allen bekannt, dass sie als Urne bestattet werden möchte. Auch die Inschrift auf dem Grabstein begrenzte sie auf „Claudia Domini, 1978 – 2060“. Geburtsname und genaue Tagesangaben hielt sie für überflüssigen Schnickschnack. Sie hoffte, dass sich ihre Familie auch so die Daten merkt – und wenn nicht, dann ist es auch kein Beinbruch.


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2058 – Spirale des Lebens

Die Zeit ging ins Land und der Bauch von Felicitas wurde immer größer. Sie kann sich noch erinnern, wie oft ihre Mutter davon erzählt hat, wie sich ihr Bruder Benno im Bauch benommen hat – nämlich wild und ungestüm. Wenn sie das zum Maßstab nahm, dann konnte sie nur eine brave, ruhige Tochter bekommen. Ihr Mann und sie (entschuldigt bitte, dass ich euch die standesamtliche Trauung vorenthalten habe, aber wir können ja schließlich hier nicht nur feiern) hatten sich entschlossen, auf vollkommen herkömmliche Weise auf das Kind zu warten, also sich vorher keine Geschlechtsvoraussage geben zu lassen. Bei allen Ultraschalluntersuchungen schauten beide bewusst nicht auf den Bildschirm – sie wollten sich überraschen lassen. Außerdem konnten sie als Laien meistens eh nur eine Spirale erkennen.

Felicitas stimmte für ein Mädchen, denn sie hatte noch die ganz süßen rosa Stiefelchen aus ihrer Babyzeit – die hätte sie gern ihrer Tochter angezogen. – Maximilian wünschte sich einen Sohn, damit er sich nicht so allein im Werkzeugkeller fühlt. Max ist nämlich eher ein typischer Theoretiker und bestenfalls konnte der promovierte Chemiker irgendwelche Gemische zur (ungewollten) Explosion bringen – das behauptete jedenfalls immer seine Schwiegermutter, bevor sie ihn herzlich in den Arm nahm.

Alle Vorbereitungen laufen auch für Claudias 80. Geburtstag. Zuerst sollte es einen gemeinsamen Kurzurlaub aller Gäste in der Lüneburger Heide geben – doch das verhinderte Felis geburtsreifer Bauch – sie wollte doch lieber in der Großstadt bleiben, möglichst in der eigenen. Also wurde umgeplant – es wurde ein Ferienhaus in Dresden gemietet, nahe bei der Wohnung der jungen Eltern in spe.

Alle sind angereist und Felicitas bekommt die ersten Wehen – deswegen wird der Toast auf Claudias 80. schon am frühen Nachmittag ausgesprochen. Claudia ist aufgeregter als Felicitas, schließlich ist es ja ihr erstes Urenkelkind von ihrem ersten Enkelkind und von ihrem ersten (und einzigen) Sohn – da kann man schon mal aufgeregt sein.

Die Gäste wollen sich gerade in den großen Raum zum kalten Büffet begeben, da stöhnt Felicitas kurz auf und sagt: „Macht’s mal gut, Leute, ich muss noch schnell das Geburtstagsgeschenk für Oma „holen“ gehen.

Als sie im Geburtshaus erzählt, dass ihre Oma heute ihren 80. feiert und hier in Dresden zu Besuch ist, geben sich beide Hebammen und die diensthabende Ärztin besondere Mühe, dass es noch an diesem Abend klappt. Maximilian drückt immer abwechselnd die Hand und – wenn er die Aufforderung bekommt – auch den Bauch seiner Frau. Das gefällt dem kleinen Etwas jenseits der Bauchdecke offenbar nicht so gut und es arbeitet sich Zentimeter für Zentimeter dem Ausgang entgegen.

Ufffffffffffffff, das war knapp, die Uhr zeigte 23.55 Uhr, da ertönte ein kräftiger Schrei. Die Hebamme meinte doch tatsächlich, bei 3 oder 4 Minuten nach der Zeit hätte sie ein Auge zugedrückt – na gut, war ja nun nicht nötig.

Maximilian sah es als erster, das er vorläufig weiter allein in seinen Werkzeugkeller gehen muss. – es sei denn, seine Tochter Cora wird ein handwerklich hochbegabtes Mädchen, das mit Bohrmaschine und Kreissäge besser umgehen kann als mit Küchenmaschine und Kochlöffel. – Felicitas stieß einen Freudenschrei aus und rief: „Sie bekommt die rosa Schuhe!!!!“ – woraufhin sich die Hebammen etwas befremdet ansahen. Die Story wurde schnell erzählt, denn Felicitas musste sowieso noch 2 Stunden zur Beobachtung bleiben, bevor sie mit Mann und Kind nach Hause durfte.

Für den kurzen Namen Cora, den man kaum verkleinern und verniedlichen konnte, hatten sich die „leidgeprüften“ Eltern mit den langen Namen   F E L I C I T A S    (9 Buchstaben) und   MAXIMILIAN (10 Buchstaben) ganz bewusst entschieden. Felicitas weiß noch genau, wie sie früher immer ihren Bruder BENNO um die vier Buchstaben weniger beneidet hatte.

Am nächsten Mittag zum Brunch bringen die stolzen Eltern die Kleine mit und Uroma Claudia droht vor Freude zu platzen. Sie gratuliert besonders der jungen Mama, denn die musste gestern Nacht hart arbeiten. Und dann lacht sie ganz schelmisch, als sie den Namen hört: „Cora“. Sie freut sich, dass die Urenkelin mit dem gleichen Anfangsbuchstaben anfängt wie sie selbst. Felicitas kennt ihre Oma ziemlich gut und fragt sofort: „Warum lachst du denn so anders als sonst?“ „Tja, hätte deine Tochter einen Namen mit vielen, vielen Buchstaben gehabt, könntet ihr jetzt um einige Hundert Euro reicher sein, denn ich habe mir vorgenommen, das Kind bekommt für jeden Buchstaben seines Namens 100,00 Euro von mir geschenkt. Prompt und ohne viel nachzudenken kommt von Maximilian grinsend: „Sie hat ja einen Doppelnamen und heißt Cora-Corinna“, was ihm aber keiner abnimmt.

Claudia sagt dann nur noch: „Na gut, das Geld für diesen Doppelnamen bekommt ihr dann zur kirchlichen Hochzeit geschenkt – doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Die standesamtliche Trauung hatten Felicitas mit dickem Bauch und Maximilian mit stolz geschwellter Brust in aller Stille kurz vor der Entbindung durchge“zogen“, denn Max musste seine Feli streckenweise wirklich ziehen, weil ihr das Laufen in den letzten Wochen sehr schwer fiel.

 


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2056 – Unscharf

Claudia weiß natürlich, dass sie mit ihren zarten 78 Jahren nicht mehr die jüngste und knackigste ist – damit kann sie sehr gut leben. Doch dass seit längerem alles unscharf und verschwommen ist, das macht ihr sehr zu schaffen. Sie braucht doch ihre Augen so sehr, weil schon ihre Ohren so absolut gar nichts mehr taugen.

Eine Untersuchung beim Augenarzt ergibt, dass eine fortschreitende Makuladegeneration ihr Sehvermögen im Laufe der nächsten Jahre auf ein Minimum reduzieren wird. In ihrer Verzweiflung ruft sie von zu Haus ihre Enkeltochter an, denn zwischen den beiden besteht eine sehr liebevolle Beziehung. Felicitas ist sehr traurig darüber und verspricht sofort, am nächsten Wochenende nach Berlin zu kommen.

Claudia fragt Felicitas, ob sie das geliebte Auto von ihr haben will, da sie sich nicht mehr traut zu fahren. Felicitas schmunzelt heimlich in sich hinein, denn das Auto ist jetzt schlappe 18 Jahre alt. Da Oma aber immer sehr wenig gefahren ist, zeigt der Tacho eine ganz akzeptable Zahl, so dass sie es versuchen will. Auf der Fahrt zu ihren Eltern stellt sie fest, dass es auch noch super fährt.

Am nächsten Tag ruft sie ihre Oma an und bittet sie, sich für einen Ausflug fertig zu machen. „Oma, packe ein Kopftuch ein, falls es etwas zu windig wird, und eine Sonnenbrille auch, denn deine Augen brauchen jetzt ein wenig Schonung. Ich komme dich in einer Stunde abholen.“

Claudia hat noch einen kleinen Picknickkorb zusammengestellt – Omas können offenbar nicht anders – und dann geht es los. Es geht weit ins Brandenburgische hinein. Plötzlich hält Felicitas an und bittet ihre Oma, sich die Augen zuzuhalten und nicht zu schummeln, damit die Überraschung größer ist.

Sie hält auf einem Parkplatz, hilft ihrer Oma aus dem Auto und führt sie am Arm ein paar Schritte weiter. Claudia erschrickt irgendwie, weil sie denkt, dass es so sein könnte, wenn sie nichts mehr sieht. Doch genau in diesem Moment sagt Felicitas: „So Oma, jetzt kannst du die Hände wegnehmen und die Augen aufmachen.“

Claudia macht das und glaubt, ihren Augen nicht zu trauen. Sie steht vor einem großen Fesselballon, der gerade gefüllt wird. Jetzt weiß sie auch, dass es das Geräusch der Brenner war, was sie absolut nicht zuordnen konnte. Mit fragenden Augen schaut sie auf Felicitas und will wissen, ob sich jetzt ein schon lange gehegter Traum für sie erfüllen soll. „Ja, Oma, bevor du eventuell nicht mehr genügend von der Welt sehen kannst, dachte ich mir, das machen wir jetzt ganz, ganz schnell gemeinsam.“

Felicitas hatte den gesamten Ballon gebucht, denn sie wollte nicht mit einer ganzen Horde schreiender und kreischender Leute dieses einmalige Erlebnis genießen. Claudia war fasziniert und Felicitas nicht weniger. Die wichtigsten Erläuterungen kamen vom Ballonfahrer. Beide hatten vor lauter Glück Tränen in den Augen – alles spielte mit: das Wetter, der Wind und auch die Art des Ballonfahrers.

Den Nachmittag ließen sie bei dem mitgebrachten Picknick und guten Gesprächen ausklingen.

 

2057 – Ein Pferd kommt in die Familie

Zuerst möchte ich noch von einer anderen Sache erzählen – einer sehr guten. – Als Claudia in das Augenzentrum des Universitätsklinikums überwiesen wird, stellen dort die Ärzte fest, dass die Sache mit der Makuladegeneration zum Glück eine Fehldiagnose war. Ihr schlechtes Sehen wurde von einem sehr fortgeschrittenen grauen Star auf beiden Augen hervorgerufen. Das wurde dort gleich erledigt, da sie nun schon mal im Krankenhaus lag und zu Haus allein lebte und keine Pflege hatte.

Als alles vorüber war, staunte Claudia, wie bunt und klar die Welt doch sein konnte und war überglücklich. Dennoch wechselte sie den Augenarzt, denn solche Fehldiagnosen dürfen einfach nicht passieren, nach ihrer Meinung.

Von dem Hund, der von Anfang an auf dem Gehöft von Benno und Katharina lebte, habe ich hier noch gar nicht erzählt, ich juble ihn euch jetzt einfach so unter. Da dieser Hund Wachaufgaben zu erledigen hatte, war es ein großer, kräftiger Schäferhund, Bonnox mit Namen, der tagsüber in einem sehr, sehr großen Gatter lebte, in der Nacht aber frei auf dem ganzen Gelände herumlief. Ihr merkt zweifelsohne, dass Benno bei der Namenswahl kräftig mitgewirkt hat, denn Katharina war für Ajax, aber Bonnox hatte sich durchgesetzt.

Als die beiden Künstler Benno und Katharina ihren Riesenauftrag am Amtsgericht fertiggestellt hatten, kam eine große Summe auf ihr gemeinsames Konto. Beide sind der Meinung: „Geld auf dem Konto stärkt nur die Bank“ und beschließen, sich einen lange bestehenden Traum zu erfüllen und kaufen sich ein Pferd, allerdings ein etwas beweglicheres als hier auf dem Foto. Reiten können die beiden schon, aber mit Ada, der eigenen Stute, macht das Reiten gleich dreimal so viel Spaß.

Felicitas telefoniert eines Tages mit ihrem Bruder und platzt gleich mit der tollen Neuigkeit heraus. „Hast du schon daran gedacht, dass unsere Oma nächstes Jahr ihren 80. Geburtstag hat? Ich habe ein ganz schönes Geschenk für sie, ich mache sie zur Uroma. Und wenn es der Zufall will, kommt unsere Tochter auch noch am gleichen Tag zur Welt, an dem Oma Geburtstag hat.“

Das muss Benno erst einmal alles verdauen, denn für ihn und Katharina ist das Thema Kinder vorläufig noch nicht spruchreif. Doch seine Schwester hat eine glänzende Promotion abgeschlossen, eine gute Stelle im öffentlichen Dienst und den besten aller Männer als Kindesvater, dazu 32 Lebensjahre auf dem Konto – was spräche da gegen ein Kind???? – Nichts!!!!


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2054 – Amtsgericht

Benno und die anderen Bildhauer in der Kommune hatten mitbekommen, dass in der Hauptstadt ein fetter Fisch zu fangen wäre – mit anderen Worten sollte ein riesiger Auftrag vergeben werden. Die Ausschreibungen liefen – das Amtsgericht Berlin-Mitte sollte generalsaniert werden, weil viele der Sandsteinfiguren durch die Umwelt sehr gelitten hatten – sogar die im Inneren des Hauses.

Je öfter er sich dort aufhielt, um nähere Angaben für die Ausschreibung zu bekommen, desto mehr verliebte er sich in diesen Bau. Der Inhalt – die Justiz – trat für ihn vollkommen in den Hintergrund, er sah nur die schöne Justitia und hätte ihr so gern die Binde von den Augen genommen, damit sie immer gerecht entscheidet.

Die Juroren müssen etwas von Bennos Liebe zu diesem Haus gespürt haben, denn er und seine Mitarbeiter bekamen den Auftrag.

Einen besseren Grund für ein Hoffest auf dem Anwesen gab es nicht – alle kamen mal wieder zusammen und redeten auch viel von Johannis, so dass er mehr oder weniger bei ihnen war.

Claudia war mit ihren 76 Jahren auch nicht mehr die jüngste. Sie hatte zwar noch das Auto, das sie zu ihrem 60. Geburtstag bekommen hatte – aber das war inzwischen schon eben so in die Jahre gekommen wie sie. – Ihr Geburtstag war eher still begangen worden, eher mit Gleichaltrigen.

Umso mehr war sie überrascht, dass ihr Sohn und seine Frau und ihre Enkel dieses Hoffest zum Anlass genommen hatten, sie mit einem traumhaften Urlaubsgutschein zu beschenken. Nach dem Tod von Johannis vor 6 Jahren hatte sie einen netten Freund. Jeder wohnte in seiner Wohnung, aber die Freizeit wurde oft gemeinsam verbracht – und der Gutschein war auch für ihn ausgelegt. Land, Zeitraum und Länge des Urlaubs blieb ihnen selbst überlassen – um die Umsetzung kümmerte sich wieder Sandra, die immer noch erfolgreich in einer Reiseagentur tätig war. – Claudia liefen vor lauter Freude die Tränen runter, so dass sie Maximilian, den Freund von Felicitas, nur mit verschwommenen Augen wahrnehmen konnte. Als sie aber sah, wie hübsch dieses „Kerlchen“ war, meinte sie kurz: „Moment, ich muss mir mal erst klaren Durchblick verschaffen“, setzte die Brille auf und dann schnalzte sie innerlich mit der Zunge und murmelte ein „oh lala“ in sich hinein.

Die Überraschungen sollten für Claudia noch kein Ende nehmen. Ihr geliebter Benno – er war ihr damals durch seine Erkrankung sehr ans Herz gewachsen – kam plötzlich mit einer hübschen Maid an der Hand zu ihr. „Oma, ich will dir Katharina vorstellen, wir sind ganz, ganz eng befreundet – näher will ich es dir sicherheitshalber nicht erläutern. Mein Herz brennt lichterloh (und dabei zeigte er das typische Benno-Grinsen) !!!“ Claudia denkt in dem Augenblick: „Hübsch ist relativ, warum hat sie denn an Armen und Beinen überall Tattoos und vor allem, warum hat sie diese Metallstecker im Gesicht? Wer weiß, wie bunt sie aussehen wird, wenn sie ihre Sachen ablegt. Und das findet mein kleiner Bub hübsch??? Außerdem spricht sie auch so anders – sie wird doch nicht etwa Ausländerin sein??? Irgendwie hat sie so einen slawischen Touch?! “ – Benno sieht all diese Bedenken im Gesicht seiner Oma, denn das ist wie ein offenes Buch. „Ja, Oma, Katharina steht auf ausdauernde Körperverzierungen. Wenn ich sie im ganzen betrachten kann, brauche ich gar kein Bilderbuch mehr. Und ich denke, von den Piercings wird sie sich im Laufe der Zeit von einigen trennen, denn die stören beim Küssen. Und dass du mir nicht einen einzigen schrägen Gedanken gegen Ausländer denkst, sonst muss ich noch meine gute Meinung von dir revidieren.“

Claudia merkt, dass es ihrem Benno vollkommen ernst ist, geht auf Katharina zu und nimmt sie mit einem „Herzlich willkommen in unserer Familie“ einfach in den Arm.

In dem Moment begriff sie so richtig, dass er nicht mehr „ihr Kleiner“ war, sondern dass er jetzt „der Große“ für Katharina war. Dieses Mädchen mit den Gesichtszügen einer griechischen Statue, lachte ganz offen und herzlich, fragte schelmisch, ob sie jetzt den Benno behüten und verwöhnen durfte und erntete ein Riesengelächtet, zumal Benno das einschränkte und meinte „Das Verwöhnen bezieht sich aber nicht aufs kochen, denn das kann Kathi nicht.“ – Und prompt hatte er eine Diskussion mit seiner Schwester auf dem Hals, die meinte, dass er doch so einen schönen Namen wie Katharina nicht zu Kathi verballhornen könnte.

So wurde – zumindest im Gebrauch von schönen, langen Namen – aus der Saulus-Feli eine Paulus-Felicitas.