Jetzt ist es anders als 2014 – da habe ich nach dem letzten Kapitel aufgehört, die Geschichte weiter zu erzählen. Es war ein wenig mühsam für mich, für die weiteren Geschichten die Textvorlage zu finden. Erst nach langem Suchen fand ich sie auf der externen Festplatte. – Was ich aber nicht gefunden habe, sind die Fotos für die einzelnen Beiträge, zumindest die meisten nicht. Diese aus dem Jahr 2013 zu suchen, ist mir zu zeitaufwändig und anstrengend. Auf die muss bis auf Ausnahmen jetzt verzichtet werden.
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Der Urlaub neigte sich bedrohlich seinem Ende entgegen. Am nächsten Tag sollte großes Abbaden stattfinden – aber am Strand wehte die Sturmfahne.
Ehrfurchtsvoll lasen alle, was auf der Fahne stand: „I see you“ . Benno glaubte es wirklich, dass da jemand in den Häuschen des Wasserrettungsdienstes saß und alle ungehorsamen Badegäste am Schlafittchen packte, wenn sie sich ausziehen wollten, um verbotener Weise ins Wasser zu gehen. Also packten sie ihren Windschutz, ihre Getränke und ihr Picknick aus und setzten sich in ihre angestammte Sandburg. Es wurde gewitzelt und erzählt. Plötzlich meldete sich Anno zu Wort und gab einen Schwank aus seiner Jugendzeit bekannt, den seine Mutter genau auf Richtigkeit verfolgte.
Als er so ca. 2 Jahre war, hat er mit seinen Eltern Urlaub an der Ostsee gemacht. Wegen einer Augenverletzung musste er eine schwarze Augenklappe tragen. In dieser „Seeräuberverkleidung“ sah er ganz besonders nackt sehr putzig aus.
Eines Tages hatte er sich verlaufen und seine Mutter war gleich in Panik, da er noch so schlecht sprechen konnte. Er hätte bestimmt niemandem erklären können, wo seine Eltern am Strand liegen. Doch der Gang zur Strandwache brachte fast augenblicklich Erfolg. Nämlich: „Achtung, eine Durchsage! Gesucht wird ein Zweijähriger unbekleideter Junge, der eine schwarze Augenklappe auf dem rechten Auge trägt!“. – Es vergingen keine 5 Minuten und Anno war wieder bei seinen Eltern. – Die waren dann so klug und setzten ihm die Klappe am Strand auch dann noch aufs Auge, als die Verletzung schon längst abgeheilt war.
Am nächsten Tag gab es Abschiedstränen und jeder fuhr wieder in sein Zuhause.
2042 – Kunst oder Schund
Zu Haus kehrte nach diesen wunderbaren Ferien allmählich der Alltag wieder ein. Anno hatte inzwischen eine sehr verantwortungsvolle Stellung in seinem physikalischen Institut – er war Anfang des Jahres zum Institutschef aufgestiegen, nachdem der Vorgänger in wohlverdiente Pension gegangen war.
Hatte man Anno vorher schon wenig zu Haus gesehen, so war seine jetzige Anwesenheit fast die einer Gastrolle. Sein Sohn sagte schon ab und an, wenn er kam: „Entschuldigen Sie bitte, wer sind Sie denn, hier wohnt nur die Familie Domini, Sie müssen sich in der Haustür geirrt haben!“ – Dann nahm sich Anno mal für ein paar Tage zusammen und verließ schon so gegen 18.00 Uhr seinen Laden, damit er wenigstens mit der Familie Abendbrot essen konnte.
Zum Glück waren die Kinder sehr selbständig. Anna hatte ihre Berufstätigkeit auf die halbe Stundenzahl reduziert, denn Oma Claudia konnte ihre Enkel nicht immer wunschgemäß zu ihren Veranstaltungen und Kursen fahren, trotz des tollen Autos nicht. Ihr Mann Johannis hatte größere gesundheitliche Probleme, seine 72 Jahre sah man ihm inzwischen wirklich an.
Felicitas war weitestgehend mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, aber Benno musste noch dorthin und dahin gefahren werden. Der S- und U-Bahn-Verkehr hatte sich in den letzten 50 Jahren wesentlich verbessert in Berlin. Er war für jedermann kostenlos, was die Straßen von Autos entlastete. Da die Bahnen in dichtem Abstand fuhren, konnte man auch darin sitzen oder stehen, ohne den zweiten Fuß beim Nebenmann auf dessen Fuß abstellen zu müssen, weil es keinen anderen Platz gab.
Bei beiden Kindern entwickelten sich immer stärker künstlerische Neigungen heraus. Vielleicht hatte die Sandsation in Rügen ihren Anteil daran.
Felicitas entwarf zu Haus die Sprayervorlagen für ihren Bruder, eine davon ist z.B. die weiter oben gezeigte.
Niemand aus der Familie durfte wissen, dass sich der Halbwüchsige in der Sprayerszene rumtrieb. Das Geld für die teuren Farbdosen bekam er von den beiden Patenonkeln, denen er seine Werke auch zeigte. Beide waren hellauf begeistert und unterstützten ihn, nicht nur finanziell. – Einmal sollte auf der grünen Wiese ein Wettbewerbs-Sprayen stattfinden, an dem Benno gern teilnehmen wollte. Constantin wollte ihn hinfahren und begleiten, doch Benno fand zu Haus keine passende Ausrede, mit der er sich hätte verdrücken können. Also fuhren kurzentschlossen alle hin – alle außer den Eltern wussten, dass Benno auch Teilnehmer ist.
Sich dort unauffällig zu verkrümeln und seine weiße Wand zu besprühen, das war keine Kunst, sondern ließ sich einfach bewerkstelligen. Die anderen sorgten schon dafür, dass seine Eltern nicht bei ihm vorbeikommen, dazu war das Gelände groß genug.
Doch dann kam die Siegerehrung und ihr ahnt es sicher schon. Durch den Lautsprecher erscholl: „Der Sieger dieses Wettbewerbs ist Benno Domini! Der Preis für den Sieger beträgt 5.000,00 €“ – Zum Glück hatte er die beiden Onkel und seine Schwester zur Unterstützung dabei, um die zuerst erbosten, dann erstaunten und zuletzt wahnsinnig erfreuten und auch stolzen Eltern in Schach zu halten.
Er wollte bei Constantin seine Schulden für die Farbdosen bezahlen. Dieser sagte: „Du gibst mir dieses Geld, aber ich bewahre es für dich auf. Wer weiß, welches künstlerische Hobby dir als nächstes einfällt, wofür du Geld brauchst – und dann ist wenigstens welches da.“ Benno fiel seinem „Onkel“ freudestrahlend um den Hals – Sein Vater wurde fast ein wenig neidisch und dachte erneut, dass er sich mehr um seine Kinder kümmern müsste.
Auf dem Heimweg musste der „Sprayerking“ Benno seiner Mutter in die Hand versprechen, sich nicht in Gefahr zu begeben, indem er z.B. fahrende S-Bahnwagen besprayt. „Ich bin doch nicht lebensmüde“, war Bennos einziger Kommentar dazu.