Claras Allerleiweltsgedanken


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2054 – Amtsgericht

Benno und die anderen Bildhauer in der Kommune hatten mitbekommen, dass in der Hauptstadt ein fetter Fisch zu fangen wäre – mit anderen Worten sollte ein riesiger Auftrag vergeben werden. Die Ausschreibungen liefen – das Amtsgericht Berlin-Mitte sollte generalsaniert werden, weil viele der Sandsteinfiguren durch die Umwelt sehr gelitten hatten – sogar die im Inneren des Hauses.

Je öfter er sich dort aufhielt, um nähere Angaben für die Ausschreibung zu bekommen, desto mehr verliebte er sich in diesen Bau. Der Inhalt – die Justiz – trat für ihn vollkommen in den Hintergrund, er sah nur die schöne Justitia und hätte ihr so gern die Binde von den Augen genommen, damit sie immer gerecht entscheidet.

Die Juroren müssen etwas von Bennos Liebe zu diesem Haus gespürt haben, denn er und seine Mitarbeiter bekamen den Auftrag.

Einen besseren Grund für ein Hoffest auf dem Anwesen gab es nicht – alle kamen mal wieder zusammen und redeten auch viel von Johannis, so dass er mehr oder weniger bei ihnen war.

Claudia war mit ihren 76 Jahren auch nicht mehr die jüngste. Sie hatte zwar noch das Auto, das sie zu ihrem 60. Geburtstag bekommen hatte – aber das war inzwischen schon eben so in die Jahre gekommen wie sie. – Ihr Geburtstag war eher still begangen worden, eher mit Gleichaltrigen.

Umso mehr war sie überrascht, dass ihr Sohn und seine Frau und ihre Enkel dieses Hoffest zum Anlass genommen hatten, sie mit einem traumhaften Urlaubsgutschein zu beschenken. Nach dem Tod von Johannis vor 6 Jahren hatte sie einen netten Freund. Jeder wohnte in seiner Wohnung, aber die Freizeit wurde oft gemeinsam verbracht – und der Gutschein war auch für ihn ausgelegt. Land, Zeitraum und Länge des Urlaubs blieb ihnen selbst überlassen – um die Umsetzung kümmerte sich wieder Sandra, die immer noch erfolgreich in einer Reiseagentur tätig war. – Claudia liefen vor lauter Freude die Tränen runter, so dass sie Maximilian, den Freund von Felicitas, nur mit verschwommenen Augen wahrnehmen konnte. Als sie aber sah, wie hübsch dieses „Kerlchen“ war, meinte sie kurz: „Moment, ich muss mir mal erst klaren Durchblick verschaffen“, setzte die Brille auf und dann schnalzte sie innerlich mit der Zunge und murmelte ein „oh lala“ in sich hinein.

Die Überraschungen sollten für Claudia noch kein Ende nehmen. Ihr geliebter Benno – er war ihr damals durch seine Erkrankung sehr ans Herz gewachsen – kam plötzlich mit einer hübschen Maid an der Hand zu ihr. „Oma, ich will dir Katharina vorstellen, wir sind ganz, ganz eng befreundet – näher will ich es dir sicherheitshalber nicht erläutern. Mein Herz brennt lichterloh (und dabei zeigte er das typische Benno-Grinsen) !!!“ Claudia denkt in dem Augenblick: „Hübsch ist relativ, warum hat sie denn an Armen und Beinen überall Tattoos und vor allem, warum hat sie diese Metallstecker im Gesicht? Wer weiß, wie bunt sie aussehen wird, wenn sie ihre Sachen ablegt. Und das findet mein kleiner Bub hübsch??? Außerdem spricht sie auch so anders – sie wird doch nicht etwa Ausländerin sein??? Irgendwie hat sie so einen slawischen Touch?! “ – Benno sieht all diese Bedenken im Gesicht seiner Oma, denn das ist wie ein offenes Buch. „Ja, Oma, Katharina steht auf ausdauernde Körperverzierungen. Wenn ich sie im ganzen betrachten kann, brauche ich gar kein Bilderbuch mehr. Und ich denke, von den Piercings wird sie sich im Laufe der Zeit von einigen trennen, denn die stören beim Küssen. Und dass du mir nicht einen einzigen schrägen Gedanken gegen Ausländer denkst, sonst muss ich noch meine gute Meinung von dir revidieren.“

Claudia merkt, dass es ihrem Benno vollkommen ernst ist, geht auf Katharina zu und nimmt sie mit einem „Herzlich willkommen in unserer Familie“ einfach in den Arm.

In dem Moment begriff sie so richtig, dass er nicht mehr „ihr Kleiner“ war, sondern dass er jetzt „der Große“ für Katharina war. Dieses Mädchen mit den Gesichtszügen einer griechischen Statue, lachte ganz offen und herzlich, fragte schelmisch, ob sie jetzt den Benno behüten und verwöhnen durfte und erntete ein Riesengelächtet, zumal Benno das einschränkte und meinte „Das Verwöhnen bezieht sich aber nicht aufs kochen, denn das kann Kathi nicht.“ – Und prompt hatte er eine Diskussion mit seiner Schwester auf dem Hals, die meinte, dass er doch so einen schönen Namen wie Katharina nicht zu Kathi verballhornen könnte.

So wurde – zumindest im Gebrauch von schönen, langen Namen – aus der Saulus-Feli eine Paulus-Felicitas.