Gegenwart und Vergangenheit
Gut, dass zur Zeit immer noch Masken „modern“ sind, da kann ich mein verbeultes Gesicht und andere Unschönheiten gut verstecken. Der blaue Fleck wird größer und ist keine Wanderniere ein Wanderfleck, der immer tiefer rutscht. – In der Schüssel seht ihr ein Pürierstabergebnis aus 2 riesigen Kohlrabis mit 3 großen Kartoffeln, Brühe und Gewürzen – schmeckt nicht übel. Und Eis oder Paradiescreme mit flüssigen Erdbeeren ist DER HAMMER!
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Die Himmelhochs und die Staatssicherheit
Das ist jetzt nicht richtig, wenn ich von allen Himmelhochs spreche, denn es geht nur um die „Mama Himmelhoch“ und den „Sohn Himmelhoch“ – die hatten beide – ohne dass sie das je gewollt hätten, häufig mal Kontakt, eher aber Zusammenstöße, mit dieser unbeliebten Institution.
Clara in der 10. oder 11. Klasse – nach dem Mauerbau. Es kommt die Mode auf, sich alte Münzen um den Hals zu hängen, z.B. aus dem Kaiserreich – ich habe keine und bleibe münzfrei. Doch als alle Münzen-Mädchen zum Direktor müssen, erwacht mein Oppositionsgeist.
Ich habe eine Gedenk“münze“ vom Katholikentag, darauf ist das Osterlamm und ein roter Stein- alles in Messing (zumindest in meiner Erinnerung). Schnell Loch gebohrt und am nächsten Tag umgehängt.
Da ich politisch schon wegen der NICHT-Unterschrift unter das „Mauer-Begrüßungs-Schreiben“ keinen so guten Ruf hatte, wurde ich gar nicht erst zum Direktor bestellt, sondern gleich zur Dienststelle der Staatssicherheit Görlitz.
Der mitteljunge Mann will mit mir über Ästhetik sprechen, er findet den Anhänger unschön. Er selbst aber trägt eine karierte Hose, ein gestreiftes Hemd und einen geblümten Schlips. Und was haut die schlagfertige Clara raus? „SIE wollen mit mir über Ästhetik sprechen, haben Sie sich schon mal im Spiegel angesehen?“ – Das hat er wohl in den falschen richtigen Hals bekommen – das Gespräch war sofort beendet und wahrscheinlich ein weiterer Eintrag in meiner Akte. – Sicher bin ich damit über das Ziel hinaus geschossen und einem Erwachsenen gegenüber zu frech gewesen, aber ich konnte diese „Institution“ von Anfang an nicht leiden. – Ob er das „Objekt des Anstoßes“ behalten hat oder es mir zurück gegeben hat, weiß ich nicht.
Dennoch hat die Staatssicherheit schon in meinen frühen Jahren einen „Narren an mir gefressen“, obwohl sie mir nie einen Antrag gemacht haben, in ihren Reihen mit zu schnüffeln und zu horchen – offenbar wollten sie sich keinen Korb holen. – Es passierte folgendes. Unser Klassenmusikensemble (unser Klassenlehrer hatte den Ehrgeiz, aus ca. 20 Jungfrauen- und 4 Jungmännerstimmen einen [schlecht] singenden Chor zu machen, um mit diesem aufzutreten) sollte oft auftreten. So gab es im Mai 1964 das dritte Deutschlandtreffen in Berlin, an dem wir teilnahmen. Als ich mich absetzte, weil ich mich in der Wohnung einer Tante mit jemand verabredet hatte, erschien bei meiner Mutter in Görlitz fast zeitgleich eine Such- und Forsch-Abordnung, die fragte, ob meine Mutter über meinen Aufenthalt informiert sei. – War sie natürlich nicht. – Mein Gott, wie kann eine junge Dame in diesen Zeiten nur so aufmüpfig sein!!!
Was alles zu meinem FDJ-Ausschluss in der 11. Klasse beigetragen hat, kann ich nicht sagen, auf jeden Fall bin ich im Gegensatz zu den anderen Kandidaten – nicht zu Kreuze gekrochen. Schlecht für mich war, dass meine in den Vorjahren engste Freundin in der Zwischenzeit „dunkelrot“ geworden war und vieles über mich preis gegeben hat, was andere nicht wussten.
Von meiner mir sehr gut gesonnenen Deutschlehrerin habe ich erfahren, dass ich am Ende der 11. Klasse von der Schule „geworfen“ werden sollte. Das Kollegium sollte abstimmen – ich hatte zwei Stimmen mehr für meinen Verbleib. – Es wäre doch schade um die drei nutzlos verplemperten Jahre – denn ohne Abitur konnte man fast nichts mehr werden.
Wer in der Klasse der Stasiinformant war, haben wir Jahre später erfahren. Es war der frömmste evangelische Mitschüler. Er hat sich niemals zu einem einzigen Klassentreffen getraut – vielleicht hatte er noch nachträglich Skrupel.
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Nach der Wende habe ich in meiner Berliner Stasiakte (die Görlitzer und Dresdener Akte habe ich nicht anfordern lassen) viel unnützes Zeug gelesen, u.a. waren wir lange Zeit in der Postüberwachung.
Ärger habe ich bekommen, als ich lauthals aufgelacht habe, als ich eine Briefkopie meines Zweitklässlers an seinen (Polizei-)Onkel in Wuppertal entdeckte, weil er sich irgend etwas gewünscht hat. – Die mussten einfach zu viel Zeit gehabt haben.
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Der Sohn besuchte eine Bildungseinrichtung, die nannte sich „Berufsausbildung mit Abitur“. Anfang des Jahres 1989 wurde die Flüchtlingswelle immer stärker – die Leute versuchten es über Ungarn oder „stürmten“ die Prager deutsche Botschaft, natürlich die der Bundesrepublik. Was dort Dietrich Genscher Ende September verkündet hat, wissen wir sicherlich alle noch.
Der Sohn, politisch aktiv in der Organisation „Kirche von unten“ hing in seiner Schule einen Artikel auf, in dem er seine Mitschüler aufrief, nicht zu flüchten, sondern das Leben in der DDR zu verändern. – Warum das nicht honoriert wurde, verstehe ich nicht – wahrscheinlich wollten die Oberen keine Veränderung.
Es ging mit Riesenschritten auf den 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober zu. Jeden Montag gab es – nicht nur in Leipzig – Demonstrationen von DDR-Leuten, die Veränderungen wollten.
Der DDR-Führung war bewusst, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis Leute durch dieses Tor laufen werden.
Am 7. Oktober 1989 klingelt es in aller Herrgottsfrühe an unserer Wohnungstür. Zwei Männer reichten durch die von der Kette zugelassene Öffnung einen Kripo-Ausweis und fragten, ob mein Sohn zu Haus sei. Ich: „Mein Sohn ist nicht kriminell, warum zeigen Sie nicht den richtigen Ausweis?“ – Sie wollten die Sache nicht im Hausflur besprechen – mich hätte es nicht gestört. Ich musste sie einlassen.
Einschub: Im Haus selbst war eine Niederlassung der Staatssicherheit, natürlich als Polizeidienststelle getarnt. Ich hatte mich gewundert, warum ich ziemlich schnell einen Telefonanschluss bekam, und dann noch einen Einzelanschluss. Die Telefontechniker schauten mich bei der Einrichtung voller Verachtung an. – Ich werde den bekommen haben, da wir unter aktiver Telefonüberwachung standen.
Sie erklärten dem Sohn, gerade 18 Jahre jung, dass er einen persönlichen Bewacher bekommt, der ihn am Feiertag überall hin begleiten wird. – Nun hatte das Haus aber einen Vorder- und einen Hinterausgang und der Sohn ist mit seiner Bauernschläue ein wenig nach der Mutter geraten.
Der Mensch saß tatsächlich im Trabant – gegenüber unserer Haustür. Mal hat er den „Kumpel“ geärgert, hat das Haus hinten raus verlassen und dann an seiner Autoscheibe geklopft: „Wenn du nicht besser aufpasst, dann bin ich schnell weg. Aber da ich weiß, dass ich dann großen Ärger bekomme, nehme ich dich überall mit!“
Das „überall“ wurde dann aber von dem Stasimenschen allein eingeschränkt. Als der Sohn abends zu einer Veranstaltung der „Kirche von unten“ gehen wollte, hatte der Kerl wohl doch Angst um sein „Fell“ – jedenfalls beendete er lieber die überwachende Begleitung.
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In Haft oder zu einer wirklich drangsalierenden Befragung war zum Glück keiner von uns beiden – man muss ja nicht alles im Leben ausprobieren.
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass zumindest die Sohnakte lange Zeit vom BND weitergeführt wurde. – So etwas alles mitzumachen, muss ja graue oder weiße Haare mit sich bringen – und die gegenwärtigen Temperaturen unter dem Dach sind auch nicht von schlechten Eltern. – Ich bin ja für mein schlechtes Gedächtnis bekannt – warum kann ich mich gerade an solche Dinge noch ziemlich genau erinnern – und habe stattdessen bessere Sachen vergessen.