Claras Allerleiweltsgedanken


Goodbye

… auf deutsch wage ich den Titel nicht in die Überschrift zu setzen, denn ich weiß, es wird nie mehr ein Wiedersehen geben. Nie mehr werde ich deine klugen Gedanken zu hören bekommen, nie mehr werde ich dein unbeschwertes Lachen im Ohr haben, denn du bist gestorben, liebe U. Willst du uns die Erinnerung leicht machen durch das Datum? Oder hast du dich an deine Kindheit und Jugend erinnert, denn du kommst aus einer Ecke, wo die 5. Jahreszeit mehr Bedeutung hat als in Berlin. Gestern bist du beerdigt worden – nicht in Berlin.

Ich weiß nicht, ob es für den Tod ein passendes Alter gibt – auf jeden Fall kommt er zu früh, wenn gerade man eine 5 vorn steht. Und wenn er kommt, wenn in deinem Leben noch so viele Pläne, Gedanken und Ideen sind – dann ist er auf jeden Fall zu früh. Deine Partnerschaft machte auf uns alle so einen unheimlich glücklichen Eindruck – ihr habt euch so wunderbar ergänzt. Viele Jahre kannte ich dich noch suchend und erprobend – doch dann kam G. und alles war klar – dein Herz hatte gefunden, was du so lange gesucht hast. In gegenseitiger Fürsorge habt ihr euch beigestanden bei den doch auch bei euch langsam einsetzenden Zipperlein des Alters. Die eine konnte nach einem Sturz lange Zeit nicht richtig laufen – doch solche Beschwerden werden entweder besser oder heilen sogar ganz aus – die anderen eben nicht.

Als du beim Arzt die Diagnose Mamma-Ca gehört hast, brach für euch beide sicher eine Welt zusammen. Doch du warst es von frühester Jugend an gewöhnt, mit ernsthaften gesundheitlichen Problemen fertig zu werden. Ein Unfall hat dich ein Bein gekostet – doch kaum haben wir es bemerkt, habe ich es gesehen. Nicht nur, dass du immer ohne Unterarmstützen gelaufen bist, nein, du hast auch richtig lange Fahrradtouren gemacht. Wie habe ich dich dafür bewundert. – Es gab kaum etwas, was du nicht machtest – einfach toll.

Und dann deine Rechtskenntnisse, die du einmal so hilfreich für mich eingesetzt hat. Der Autohändler mit dem stierähnlichen Logo wollte mich zu einer ziemlich hohen (vierstelligen) Vertragsstrafe verdonnern, weil ich von einem Vertrag zurück getreten bin.  Es war im Zusammenhang mit der Abwrackprämie und ich traute mich als Hartz-IV-Empfängerin nicht, ein neues Auto zu kaufen. – Du hast dich so intensiv mit dem Geschäftsführer auseinandergesetzt, als wärst du meine Anwältin. Am Ende blieb zwar immer noch ein halber Tausender, doch gegen den Anfangsbetrag war das ein Klacks. – Ich weiß nicht, wie oft ich dir schon dafür gedankt habe – doch diese Dankbarkeit bleibt auch über deinen Tod hinaus. Deine Hilfe kam so selbstverständlich, so selbstlos und so gut überlegt.

Das war dein Motto: lebendig kräftig scharf – so haben wir dich alle immer erlebt – bis der Krebs zugeschlagen hat. (Dieses Foto habe ich bei einem Doppelkopfabend in deiner schönen Wohnung gemacht.) Wie es ganz tief in dir drin ausgesehen hat, weiß ich natürlich nicht, denn sooooooo eng waren wir auch nicht befreundet – aber zumindest wußtest du von Anfang an, dass diese Sorte Krebs nicht heilbar ist – bestenfalls war er mit allen möglichen unangenehmen Therapiemaßnahmen etwas in Schach zu halten. Aber du hast gekämpft, unheimlich tapfer und ohne groß zu jammern. Du wolltest das Bestmögliche und die längste gemeinsame Zeit für euch beide herausholen. Der neue Ring sollte doch wenigstens noch ein paar Alltagsscharten bekommen.1911-t-shirt

Wenn ich nicht schon zwei sehr liebe Menschen an diese Krankheit hätte verlieren müssen, die auch in etwa in deinem Alter waren, wäre ich vielleicht nicht so wütend auf Krebs. Aber er ist so wahnsinnig heimtückisch. Lange Zeit wiegt er die Patienten in Sicherheit, weil sie sich nach der Chemo ziemlich gut und gesund fühlen – aber er wühlt weiter, legt seine widerlichen Ableger in allen möglichen Organen ab, macht auch vor dem Kopf nicht halt. Und wenn er dann massiv zuschlägt, dann ist jeder Widerstand zwecklos – dann müssen ganz nah stehende Freunde und Angehörige und Freunde und Bekannte einfach hinnehmen, dass ein ganz lieber Mensch seinen Weg in die andere Welt angetreten hat.

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Das Bild ist auf deinem 50. Geburtstag aufgenommen. Deine Familie mit Geschwistern und Nichten und Neffen hat einen wunderbaren Sketch für dich aufgeführt und wir konnten sehen, mit was du als Kind gespielt hast und womit du losgewandert bist in die Berge, nämlich mit diesem Rucksack. Ganz unbedeutend war er dich nach 43 Jahren (oder so ähnlich) zu eng und klein geworden – aber es gibt Schlimmeres.

Von meinem letzten Besuch im Britzer Garten schickte ich dir dieses Foto.

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Für einen Besuch bei mir oder ich bei dir warst du schon zu schwach. Ich habe dir gewünscht, dass du noch so viele Wochen leben mögest wie diese Dahlien Strahlen hat – ahnte aber schon, dass es bestenfalls Tage werden. Und so ist es leider auch gekommen – die Krankheit hat dir noch nicht einmal so viele Tage gelassen wie die Dahlie Blütenblätter hat.

Lebe wohl! Hier hast du dich so wohl gefühlt, die Chemo war überstanden, der kahle Kopf stand dir bei deinem Charakterhinterkopf vorzüglich. Gut, eine Zweitfrisur war vorhanden, aber eine Mütze reichte dir oft aus. Später, nach mehreren Wochen kamen lauter lustige kräftige Locken – die Haare zuvor waren viel glatter – jetzt verführten deine Locken alle Besucherinnen, dir mal kurz über den Kopf zu wuscheln. – Du meintest, so hätte es noch lange Zeit weiter gehen können.

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8. Juni 1962 – 11. November 2016

Und jetzt noch ein Abschiedslied für dich – Musik war deine Welt – nicht nur passiv, sondern auch aktiv.

In diesem Blog gibt es noch ein paar Fotos. Für mich als deine ferne Begleitung bei deiner Krankheit war besonders schlimm, dass es ein Wiederholungserlebnis war. T.E. hatte die gleiche Krankheit und wusste auch nach kürzester Zeit, dass es keine Rettung, keine Hoffnung und keine Heilung geben wird.


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Eine sehr ungewöhnliche Methode, …

einen Mann fürs Leben kennen zu lernen.

(Diese Geschichte schreibe ich für Heiko L. zu seinem 14. Todestag am 30. Mai 1996 und sie ist (leider) authentisch!)

Sommer 1993
Clara möchte ihr neues Herrenrad, das sie sich von dem Versicherungsgeld für das geklaute Rad gekauft hat, auf einer Fahrradtour von Münster zur holländischen Insel Texel und zurück erproben. Im Nachhinein wird diese Tour von allen Beteiligten nur noch die Chaos-Tour genannt werden.

Manchmal  nehme ich für mich das Sprichwort in Anspruch

Wo ich bin, da ist das Chaos, aber ich kann nicht überall sein

doch an dem jetzt kommenden Chaos bin ich nur zu einem Drittel beteiligt.

Gleich bei der Ankunft fällt ihr so ein „Typ“ aus Hamburg auf – drahtig, nicht zu groß, lausbubenhaftes Lachen im Gesicht. Da ihr Herz schon immer schneller für die Nord- als für die Südländer geschlagen hat, lässt sie sich in die ersten Flaxereien mit ihm ein. Lange Zeit später, beim Auswerten der Fotos aller Teilnehmer, werden sie feststellen, dass Clara + HH (Hamburg-Heiko) vom ersten Tag an unzertrennlich sind, immer höchstens 1 m voneinander entfernt stehen, sitzen oder fahren.

Nach einem gemütlichen  Eröffnungsabend, den CH+HH natürlich auf der gleichen Eckbank verbrachten, ging es am nächsten Morgen voll guter Laune los.

Leider verließ uns diese erst einmal, da wir ca. 20 km nach dem Start einen Toten hatten. Ein 49jähriger Teilnehmer bekam einen Herzinfarkt und die schnellste medizinische Hilfe konnte nach mehreren Defibrillatorenanwendungen  nur noch seinen Tod feststellen. Seine Frau war auch in der Gruppe. Wir verabschiedeten uns von ihr und dachten noch die ganze Fahrt an diese beiden. – Für die Gruppe war es besser, dass dieser Tod am ersten Tag passiert ist, als wir uns noch nicht kannten. Nach 14 Tagen entsteht ein recht guter Zusammenhalt und die Sympathien sind mehr oder weniger stark.

HH nahm mich beruhigend in den Arm, als ich wohl als erste ahnte, dass dieser Mann nicht mehr von der Straße aufstehen wird. – Die nächsten Tage verliefen ruhig, ohne Zwischenfälle, mit viel Sport (Tichtennis, Dart) neben der Strampelei auf dem Rad und mit viel Neckereien. Das Sprichwort von dem Necken und Lieben fing langsam an, konkreter zu werden. Dennoch wahrten beide noch die Contenance.

Dann näherten wir uns einem kleinen Ort in Holland. Der Fahrradleiter meinte – für alle gut vernehmlich in einer Pause: „Clara, in den nächsten Ort fahren wir nur deinetwegen.“ Ehre, wem Ehre gebührt, aber das fand Clara dann doch etwas übertrieben.  „Darf ich denn vielleicht erfahren, was mir diese ungeheure Ehre verschafft?“ , ließ sie ihr fragendes Stimmchen ertönen. „Da gibt es eine riesengroße Trampolinanlage, die größte in ganz Holland.“

Ihr leicht gekrümmter Zeigefinger

(manchmal ist es auch der Ringfinger, wenn der Zeigefinger mit Zigarette halten beschäftigt war) tippte sofort reflexartig an die Stirn, begleitet von den Worten „Du spinnst doch wohl! Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich auf so ein Trampolin … …?“ Und instinktiv hatte sie sofort gespürt, dass diese Worte im Grunde genommen eine Lüge waren. Wie lange hatte sie schon davon geträumt, schwerelos auf so einem Ding herumzuspringen, auf den Popo zu plumpsen – na eben so, wie es die Artisten im Zirkus machen. Lediglich ein kleiner Unterschied: Clara ist keine Artistin, sie ist auch kein Artistenkind.

Als die ganze Gruppe geschlossen protestierte, kam so ein Gefühl wie Stolz und Neugier in ihr hoch. Ein wenig ließ sie sich noch bitten, dann machte sie sich sprungfertig.

Das Unglück nahm damit seinen Lauf, dass sie gezwungen war, ihre Turnschuhe vor dem Trampolin abzustellen und die Sprungfedern nicht ordnungsgemäß abgedeckt waren.

Hoch – runter – grätschen – anhocken – drehen – plumpsen. Bis hier ging alles gut. Doch dann eine ungeschickte Bewegung und ein Fuß landete in den Sprungfedern. Ein stechender Schmerz durchfuhr den Fuß – doch wer A sagt, muss auch B sagen, das beifallspendende Publikum will ja unterhalten werden. Der nächste Schmerz lässt auch nicht lange auf sich warten. Ausgleichende Gerechtigkeit – dieses Mal ist es der andere Fuß.

Was jetzt kommt, wagt sie kaum zu schreiben, da es an Dummheit und grenzenlosen Leichtsinn grenzt. Aber unter den Zuschauern war ja dieser eine aus Hamburg, den sie unbedingt beeindrucken wollte!

Also einmal kurz Schwung geholt zum Salto rückwärts – und ein kollektiver Aufschrei in der Zuschauerkulisse. Clara hat es zwar geschafft, Schwung zu holen – doch abgebremst hat sie diesen Schwung mit ihrer Halswirbelsäule auf dem ziemlich harten Rand.

Als dann dieser besagte Hamburger sofort mit seiner wärmenden Vliesjacke zur Hand und jeden Abend mit Eiswürfeln für beide lädierten Füße am Tisch stand, war alles nur noch halb so schlimm.

Der gebrochene Mittelzeh am einen Fuß, der gestauchte am anderen veränderte zwar die benötigte Schuhgröße um 3 Nummern nach oben und verhinderte, dass Clara laufen konnte. Sie konnte sich nur noch auf dem Fahrrad fortbewegen – und da wäre ein bequemes Damenrad mit tiefem Einstieg sicherlich bequemer gewesen. Aber ansonsten verheilte alles von allein, denn ein Arztbesuch war erst in Berlin wieder möglich.

Die gestauchte Halswirbelsäule wurde jeden Abend im Etappenziel mit 10minütigem „Abkochen unter der Dusche“ und einer Halskrause kuriert. Schön war, dass der Hamburger jetzt einen offiziellen Grund hatte, neben ihr zu fahren, denn irgendeiner musste ja nach rechts und links gucken können – Clara konnte nur stur geradeaus gucken und auf den Ausspruch warten: „Rechts ist frei“.

Am letzten Tag der Tour verunglückte noch ein Teilnehmer. Wir fuhren mit einer Draisine, die nicht vorschriftsmäßig gesichert war. Durch unglückliche Umstände fiel er vor dieses Schienenfahrzeug und wurde ziemlich stark verletzt.

Auf jeden Fall blieben Heikos Jacken- und Eisbeutelaktionen nicht ohne Folgen und wurden belohnt – jedenfalls fuhr Clara in der Zukunft 3 Jahre lang regelmäßig nach Hamburg oder bekam Besuch aus dieser schönen Stadt.

Leider machte 1996 eine tödlich verlaufende Krankheit der Liebe, der Fahrerei und den Zukunftsplänen ein Ende.

Zur Erinnerung an den heutigen Tag

Ein Gruß an HL habe ich, den ich fast jeden Tag vor Augen habe:

Wenn mich jemand fragt, warum ich mir nicht meine Initialen als Kennzeichen besorgt habe, erkläre ich: „Das heißt Hö…-Löwe“. Da das ganze Auto mit kleinen Löwen innen und außen verziert ist, stimmt das gewissermaßen sogar.

Der Mai scheint nicht der glücklichste Monat für Männer zu sein, die mich lieben.


Lässt sich der Tod "manipulieren"?

(Damit meine ich keine Art von Freitod, bei dem man ja Zeitpunkt und Art selbst bestimmen kann, sondern den vollkommen natürlichen, durch Krankheit oder Alter bedingten.)
So schmerzlich diese Erfahrung im Leben eines Menschen sein mag: mich hat sie reicher, reifer und erfahrener gemacht. Ich bin dankbar dafür, dass uns Zeit für Abschied und Trauer blieb, da der Krebs drei Monate brauchte, um den „Krebs“ zu besiegen.
HL – mein Wolkensegler – ging dem Tod gefasst entgegen. Seine gesamte Familie wollte ihn im Krankenhaus unterbringen – er bat mich jedoch um meine Pflege zu Haus. Da wir ca. 300 km entfernt voneinander wohnten, nahm ich erst Jahresurlaub, dann ließ ich mich aus psychischen Gründen krankschreiben – aber die Ärztin genehmigte nur 3 Wochen, weil ich nur die Freundin, nicht die Frau war.
Fast jede Minute waren wir beieinander, trennten uns auch nachts nicht. Es war so natürlich wie das Zusammensein am Tage, obwohl es andere Schlafmöglichkeiten gegeben hätte. – Liebt man jedoch einen Menschen so innig, dann bekommt man auch die Kraft, dem Tod zu begegnen.

Unstimmigkeit gab es nur bei einer Frage: „Wo dem Tod begegnen:  in vertrauter Umgebung oder im Krankenhaus?“ HL wollte nicht, dass ich ihn sterben sehe, da er denTod seines Vaters erlebt und nie verarbeitet hatte. Mir erschien es wie die Quadratur des Kreises, da wir – bis auf meine häufigen Zigaretten- und Kaffeepausen – ununterbrochen zusammen waren. Er entschloss sich, lediglich den letzten Schritt im Krankenhaus zu machen, zumal ein Freund dort Stationsarzt und ich mit keinerlei rechtlichen Befugnissen ausgestattet war.

An einem Donnerstag Morgen wussten wir beide, dass der Tag gekommen war. Ich benachrichtigte seine Mutter, seine Kinder und seine Frau, da ich allen die Chance geben wollte, ihn in den/der letzen Stunde/n zu begleiten und zu stärken. Doch keiner von allen kam.

Im Krankenhaus wurde schnell noch die Frage geklärt, ob mein Bett dicht neben das seinige oder im krankenhausüblichen Abstand stehen sollte – natürlich entschieden wir uns für die erste Variante. Der Arzt und Freund verabschiedete sich von ihm, da er bis Montag zu einem Kongress musste.

Und jetzt ging ich für ca. 3 Minuten auf den Flur, um mit dem Arzt über HLs Überlebenschance zu reden. Auch er war sich unsicher, ob der Tod heut, morgen oder erst in drei Tagen kommt.
Doch mein willensstarker Dickkopf hatte durchgesetzt, was er mir seit Wochen angeküdigt hatte. Zwei Schwestern waren mit ihm beschäftigt, um ihn zu betten. Ich kam ins Zimmer, schaute ihn an und schrie auf: „Er ist tot!“

Er war immer der Meinung, dass wir uns im Jenseits wieder sehen und hat sich deswegen auch nicht endgültig von mir verabschiedet.